Mitglieder des Presseclubs hatten Gelegenheit, sich vor Ort über die Sanierungsarbeiten am Blauen Wunder zu informieren. Es war nicht nur sehr interessant, sondern auch ein Termin für die Seele. In der Abendstimmung bot sich ein wunderschöner Blick auf die Stadt, die Elbwiesen und sogar bis in die Sächsische Schweiz. Die hundert Stufen Aufstieg auf den 24 Meter hohen Pylonen des Blauen Wunders haben sich gelohnt, da waren sich alle einig.
Holger Kalbe, Sachgebietsleiter Brückenplanungs- und Bausteuerung der Landeshauptstadt, hat uns fachkundig geführt. Zunächst überraschte er mit einer Zahl: In Dresden gibt es 315 Brücken. Die meisten können sofort die sieben Elbbrücken, für die die Stadt zuständig ist, sowie die Autobahnbrücke nennen. Aber es gibt in Dresden viele weitere Gewässer, Bahngleise sowie überbrückte Straßen und jeder Übergang mit einer Stützweite von mehr als zwei Metern gilt als Brücke.
Die älteste Brücke in Dresden ist die Augustusbrücke, deren erste Ausführungen bis 1222 zurückreichen. 1852 wurde die Marienbrücke eingeweiht und 1877 die Albertbrücke. Auch die beiden Dörfer Loschwitz und Blasewitz brauchten eine stabile Verbindung. Nach einer Ausschreibung 1890 ging der Entwurf von Claus Koepcke als Sieger hervor. Er nahm die Hängebrücken in Nordamerika als Vorbild. Um aber unerwünschte Schwingungen zu mindern, hatte er die Idee, die als Zugeisen konstruierte Kette durch Gitter mit der Fahrbahn zu verbinden, um eine steife Wand zu erhalten. Er nannte seinen Brückentyp versteifte dreigelenkige Hängebrücke. Seine Hängebrücke mit drei Federgelenken und Schwingungsdämpfern im Scheitel und an den Auflagerpunkten ist aus statischer Sicht einmalig, erklärt Holger Kalbe.
Allein 3.000 Tonnen Stahl und 97 Tonnen Nieten, sie wiegen jeweils zwischen 200 und 500 Gramm, halten das 270 Meter lange Bauwerk zusammen.
Aus heutiger Sicht verblüfft die kurze Bauzeit von April 1891 bis November 1893. Bis zu 2.000 Arbeitskräfte waren im Einsatz, sie nutzten auch zwei Dampfmaschinen. Die Kosten wurden mit rund 2,3 Millionen Mark angegeben. Bis in die 1920er Jahre mussten die Nutzer Zoll fürs Überqueren bezahlen, damit kamen deutlich höhere Einnahmen als die Baukosten zusammen.
Bevor Holger Kalbe die Teilnehmer in die Höhe der Brücke führte, zeigte er ihnen zunächst das Unterirdische. 40 steile Stufen geht es hinab, elf Meter unter der Straße, ein Meter unter dem durchschnittlichen Elbpegel befindet sich die Ankerkammer. In der rund neun Meter hohen Kammer aus Stampfbeton befinden sich die Gegengewichte, auch Anker genannt, die die Brücke halten. Technikfans erfahren von Holger Kalbe noch viel mehr über Statik, Temperaturschwankungen und Belastungsprobe der Brücke.
Die Brücke wurde als König-Albert-Brücke eingeweiht. Nach dessen Abdankung hieß sie Loschwitzer Brücke. Von Anfang an nannten die Dresdnerinnen und Dresdner ihre Brücke wegen des hellblauen Anstrichs und der ungewöhnlichen, monumentalen Konstruktion aber Blaues Wunder. So geht es aus einem Artikel im Dresdner Anzeiger hervorgeht. Doch 1935 tischte eine Zeitung zum 1. April folgende Geschichte auf: Die Brücke sei ursprünglich grün angestrichen worden. Doch die nicht-lichtgelben Farbanteile hätten sich verflüchtigt und so sei die blaue Farbe übriggeblieben. Dieses „Märchen“ hielt sich Jahrzehnte. Übrigens hatte Koepcke zwar die Gehbahnen geplant, aber sie wurden erst 1930 angebaut.
Die normative Nutzungsdauer von 80 Jahren hat die Brücke längst überschritten. Damit sie weiterhin sicher bleibt, wird sie derzeit saniert. Wahrscheinlich wird es jedoch bis 2030 dauern, bis alle beschädigten Stahlteile instandgesetzt oder ausgetauscht sowie die Ausstattung der Brücke, unter anderem die Beleuchtung und Fahrbahnübergänge, erneuert sind. Das unter Denkmalschutz stehende Ingenieurbauwerk erhält einen neuen Farbanstrich. Dieser hat zu Bauzeiten 57.000 Mark gekostet, heute rechnet die Stadt allein dafür mit einer Summe von 20 Millionen Euro. Der 1989 aufgebrachte Farbanstrich macht den Brückensanierern heute Sorgen. Weil damals bleihaltige Farben verwendet wurden, müssen sie unter besonderen Schutzmaßnahmen entfernt werden. Deshalb erinnert das Blaue Wunder mit den weißen Planen in der Mitte aktuell an das Werk von Verhüllungskünstler Christo. Der neue Farbton entspricht, wie mit dem Denkmalschutz abgestimmt, dem von 1893 und kann an der unterstromigen Gehbahn bereits bewundert werden. Rund 2,4 Millionen Euro stehen in diesem Jahr für die Arbeiten am Mittelteil zur Verfügung.
Text: Bettina Klemm. Fotos: Andrea Nolting und B. Klemm