Es ist Donnerstag. Nun liegt sie wieder auf dem Tisch. 40 mal 57 Zentimeter groß, 420 Gramm schwer und im Westen öfter als im Osten gelesen. Die „ZEIT“ ist reif für eine Veränderung. Seit dem 5. November 2009 erscheinen zwei Seiten aus Sachsen für Sachsen in der überregionalen Wochenzeitung „ZEIT“.
Von Jorinde Unger, Ekaterina Kruglikova, Anne-Marie In der Au, Jens Wodrich
Graue Häuserfassaden, lange Schlangen vor dem Arbeitsamt, Rechtsextremismus auf dem Vormarsch, der Nachwuchs reißt aus. Eine Vorstellung vom Osten, die die Medien immer noch vermitteln. Die „ZEIT“ möchte diesem Bild entgegenwirken, spiegelt es doch „nur einen Teil der Wirklichkeit im Osten wieder“, so Chefredakteur Giovanni di Lorenzo in einem Interview mit der „Sächsischen Zeitung“ im Oktober 2009. Deshalb öffnete im letzten Jahr ein Korrespondentenbüro in Dresden unter Leitung von Stefan Schirmer. Schirmer arbeitete zuvor als Reporter, Vize-Kulturchef und Leiter des Wochenendmagazins der „Sächsischen Zeitung“ und war zuletzt Redakteur bei „GEO Spezial“.
Doch ob das erwähnte negative Bild von Ostdeutschland überhaupt noch existiert, ist fraglich. „Das Bild vom Osten gibt es längst nicht mehr, weil jede Region unterschiedlich ist. Ganz im Gegenteil, ich finde die Nachrichten aus dem Osten sind vielversprechend“, so die freie Journalistin Mandy Weigel aus Dresden. Eine gegensätzliche Meinung vertritt der Dresdner Chance Innovator Ralf Lippold. Noch immer liege Ostdeutschland an der Peripherie der Berichterstattung. Oftmals fehlt das Verständnis für die Lebensläufe der hiesigen Menschen. „Auf der einen Seite wird am liebsten ‚SUPERillu‘ gelesen, auf der anderen Seite liest man ‚Spiegel‘, ‚ZEIT‘ und ein paar andere“, sagte diLorenzo in einem Interview mit der Zeitschrift „Message“ und bestätigt damit den Eindruck, dass es auch zwanzig Jahre nach dem Mauerfall noch eine „Leser-Mauer“ zwischen Ost und West gibt.
Bereits in Österreich und der Schweiz veröffentlichte die „ZEIT“ regionale Sonderseiten. Mit Erfolg, die Auflagen stiegen. Nun ist Sachsen an der Reihe dieses Konzept umzusetzen und soll den schleppenden Absatz in Ostdeutschland ankurbeln. Schließlich lagen im Freistaat die Verkaufszahlen schon immer etwas über dem ostdeutschen Durchschnitt.
Wirtschaftlicher Erfolg, Kultur und Geschichte
Die Artikel der Sachsenseite berichten über die verschiedensten Themen, von der Dresdner Staatskapelle bis hin zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr. Die freie Journalistin Weigel lobt besonders die Mischung aus der „großen Politik“, vielen weiteren Themenbereichen und regionalen Geschichten, versetzt mit dem „Blick über den Tellerrand“. Beim Lesen entsteht allerdings der Eindruck, dass es einigen Themen an Relevanz mangelt. Die Geschichte über eine Privatgrundschule in einer Kleinstadt im Erzgebirge etwa ist nett aber banal im Vergleich zur allgemeinen Berichterstattung der „ZEIT“.
Neben den Aufmachern nimmt die „Ostkurve“ eine besondere Stellung in den Sachsenseiten ein. Die im Wechsel von Jana Hensel und Christoph Dieckmann verfasste Kolumne berichtet über die persönlichen Erlebnisse der Autoren mit und in Ostdeutschland. Weigel sieht die beiden sogar als „Zugpferde“ der Sonderseiten.
30 000 Mal „ZEIT“ für Studenten
Die „ZEIT“ startete vor der Einführung der Doppelseite eine groß angelegte Werbekampagne und verteilte unter anderem 30.000 Gratisexemplare an Studenten sächsischer Hochschulen. „Die meisten neuen Leser haben wir in den letzten Jahren unter Studenten gewonnen“, sagte Chefredakteur diLorenzo in einem der Interviews. Anfängliche Neugier ließ die Auflagezahlen für Ostdeutschland zunächst ansteigen. So bestätigten auch Dresdner Kioskbesitzer auf Nachfrage, dass sich die „ZEIT“ anfänglich besser verkaufte. Dies habe sich aber inzwischen wieder relativiert, so die subjektive Einschätzung.
Viele Studenten lesen die „ZEIT“. Gerade in der jüngeren Generation werden die durch Eltern geprägten Bilder neu definiert. Der Osten ist näher an den Westen herangerückt und nun weniger als Einzelnes zu betrachten. Es ist allerdings fraglich, ob die Sachsenseiten der „ZEIT“ das Bild vom Osten wirklich verändern können, wenn diese allein in Sachsen erscheinen. Kurzfristig hat sich die Doppelseite als gute Ergänzung für bisherige „ZEIT“-Leser erwiesen. Aber ob sie dauerhaft neue Leser anzieht, ist zweifelhaft.
Es ist Donnerstag. Die „ZEIT“ liegt wieder auf dem Tisch. Genauso groß, genauso schwer und an den Sachsenseiten auch nicht wesentlich gewachsen. Für Sachsen hat sie an Gewicht gewonnen, für Ostdeutschland ist es ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Dieser Text entstand im Rahmen des Seminars "Einführung in den Journalismus" am Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden (WS 2009/10). Abgabe der Teste und als Stand der Inhalte war Februar 2010. Dozent: Peter Stawowy
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