Zu Gast bei Dreh und Schnitt – wie ein TV-Beitrag entsteht

Knappe 90 Minuten Filmmaterial, fünf Stunden Dreh und Schnitt für eine dreieinhalb minütige Reportage – wer hätte das gedacht? Eine Reportage über einen Filmdreh.

17 Uhr, mitten im Herzen von Leipzig – für die einen der Beginn des lang ersehnten Feierabends, für die freie Journalistin, Antje Schneider, und ihre heutige Filmcrew der Anfang einer langen Drehnacht.

Mit Kamera, Koffer und Kompagnon
Treffpunkt des Drehteams ist das gemeinsame Journalistenbüro “Werkblende”, eine junge Film- und Fernsehproduktion. Die Türglocke schellt und auch der Tonassistent Jan Eckert, liebevoll Ecki genannt, trifft ein. Es kann losgehen. Mit Kamera, Koffer und Puschel bepackt, macht sich das Team auf den Weg zum Auto. Die Reportage zum Thema “Hasenzählung” findet in Ladeburg, nicht weit von Magdeburg, statt.

Auf der knapp anderthalbstündigen Autofahrt bespricht Schneider mit ihrem Team den Ablaufplan des heutigen Drehs. Gemeinsames Brainstorming und Diskussionen über die bedrohten Hasenbestände in Sachsen-Anhalt folgen. Mit der heute anberaumten Zählung der Tiere soll der Erfolg der bisher durchgeführten Schutzmaßnahmen überprüft werden.

Kein Pardon bei Wind und Wetter
Unterdessen hat es angefangen zu regnen. Allgemeines Schweigen breitet sich aus. Die Monotonie des Scheibenwischers wird vom konzentrierten Blättern in den Aufzeichnungen begleitet. Mit einem aufmunternden “Möchte jemand Gümmibärchen?”, durchbricht Schneider die Stille. Ein süßlicher Duft steigt in die Nase. Der Kameramann Jan Siegemeier greift dankbar in die Tüte. Die immer tiefer hängenden Wolken verheißen nichts Gutes. “Da können die Hasen ja nur baden gehen”, scherzt Siegemeier. Wird der Dreh stattfinden können? Zur Spekulation bleibt nicht lange Zeit, das Ziel ist erreicht, der Empfang herzlich. Bei einem zünftigen Schmaus machen sich Drehteam und Jäger miteinander bekannt und klären die wichtigsten Fragen bezüglich des bevorstehendes Drehs.

Was man außer Fachchargon noch wissen muss
19.40 Uhr geht die Kamera an. “Nicht in die Kamera gucken” erklärt Kammermann Jan Siegemeier freundlich seinen Protagonisten. “Sie würden die Zuschauer nur irritieren, wenn sie ihn direkt ansehen”, setzt er hinzu. Im gemütlichen Jägerhaus stellt Schneider immer wieder Fragen, um auch für den Zuschauer verwertbare Antworten zu erhalten. Bei „Fachchinesisch“ wird unterbrochen und erneut angesetzt. Plötzlich klingelt ein Handy. Ein Jäger hat wohl vergessen es auszuschalten. Auf dem Display erscheint die Erinnerung: “Hasenzählung”. Alle fangen herzlich an zu lachen und die Anspannung fällt aus den Gesichtern der Jäger. Die Stimmung ist gut und die eigentliche Hasenzählung kann beginnen.

Da auf dem Geländewagen kein Platz für Tonspezialist Ecki vorhanden ist, bindet er das Funkgerät um den Hals eines Jägers, um so die Akustik garantieren zu können. Eine holprige Fahrt über Felder und Wiesen von Ladeburg beginnt. Die Kamera läuft ununterbrochen, um eine Vielfalt an Bildern zu erhaschen und die Authentizität der Reportage gewährleisten zu können. “Da! Ein Hase!” Der Geländewagen hält, Siegemeier zoomt ran. Der hoppelnde Hase ist im Kasten.

Attrappe statt Original
22 Uhr erfolgt der nächste Stopp. Jäger und Drehteam steigen aus dem ersten Wagen aus. In der eisigen Kälte wärmt sich Schneider mit gymnastischen Hampelmannübungen auf. Ein früher überfahrener und extra für den heutigen Dreh tiefgefrohrener Hase wird von der Laderampe auf die Straße drapiert. “Wenn ich bitte sage, geht’s los, damit es realistischer wirkt”, erklingt die Anweisung des Kameramannes Siegemeier. Ecki bewegt sich fast unsichtbar hinter ihm und hält das sogenannte Puschel, welches die Geräusche des Windes abfängt.

Im Auto erklärt Ecki: “Der tote Hase ist das I-Tüpfelchen. Dass Hasen überfahren werden, passiert ja wirklich; es wäre nur umständlich alles abzufahren, da wir nicht viel Zeit haben.”

Nicht einfach Protagonist zu sein
Der Zeitdruck macht sich nach einigen Minuten tatsächlich bemerkbar. Einer der Jäger wird ungeduldig und drängelt das Team mit den Worten: “Weiter, weiter!” Schneider bleibt freundlich und motiviert die Jäger noch einen Moment auszuharren. Bald wird klar, dass sich einige Protagonisten mehr für die Kamera eignen als andere. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, den Kopf nach unten geneigt, wird ein weiterer Jäger und Landwirt interviewt. Der Kameramann geht in die Knie, damit er die Augen des Interviewten einfangen kann. “Bitte nocheinmal”, erklingt es vom Tonassistenten Ecki, “Im Hintergrund war ein Handy zu hören”.

Beim zweiten Mal klappt es, Schneider ist zufrieden. Der Motor ertönt, das Team und die Jäger steigen wieder ein. Nachdem 23.30 Uhr der letzte Stopp erfolgt, geht es gegen 0 Uhr zur Jagdhütte zurück. Auch die seit vier Stunden erklingende Heinz-Rudolf-Kunze-CD im Begleitauto verstummt. Bis ca. 1 Uhr wird zusammen mit dem Jägerteam am ersten Satz gefeilt, der die Reportage eröffnen soll. Erst dann geht es zurück nach Leipzig.

Der nächste Tag beginnt 9 Uhr in der Werkblende. Das gedrehte Material wird eingespielt und gesichtet. Schneider erstellt eine Shotliste, damit sie einzelne Ton- und Bildsequenzen den Filmminuten zuordnen kann. “Das erleichtert die Arbeit mit dem Cutter ungemein” erklärt sie. Die Strapazen der vergangenen Nacht sind lediglich an dem zeitweisen Gähnen Schneiders und dem Latte Machiatto zu erahnen.

Die Reportage bekommt ihren Schliff
11.30 Uhr – ein bekanntes Gesicht – der Kameramann Siegemeier betritt den Raum. Er schneidet sein Material selbst. Schneider und Siegemeier unterhalten sich über den bevorstehenden Schnitt und treffen eine Vorauswahl der Bilder.

Es folgt die Qual der Wahl: welche Bilder wirken wo am besten? Der Beitrag wird zerteilt und wie ein Puzzle in gewünschter Reihenfolge wieder neu zusammengesetzt. Ein im Hof stehendes Auto mit selbstgebastelter Alarmanlage macht den Beiden zu schaffen. Das Fenster wird geschlossen. Das Tippen auf der Computertastatur erklingt wieder. 14 Uhr ist es geschafft. Schneider entwirft nun den Text, der die Reportage begleiten soll. Bis 17 Uhr muss er stehen, denn dann ist die Sprecherin bestellt.

Geschafft

Im Gespräch mit Schneider wird deutlich, dass auch einiges an Vorarbeit für den Dreh vonnöten ist. Von der Themenfindung und ersten Recherche an hat man zu schauen, ob genügend Kapazitäten für die Umsetzung zur Verfügung stehen. Ein Sendeplatz muss gefunden werden. Dazu reicht sie ein schriftliches Exposé ein, das darüber entscheidet, ob ein Thema in eine Sendung passt oder nicht. Ist das Thema verkauft, muss sie ein Treatment entwerfen, das die Aussage der Geschichte präzisiert und das Thema klar schildert. Erst dann kann man zur Feinrecherche und Drehplanung übergehen, die ebenfalls einen beachtlichen organisatorischen Aufwand mit sich bringt. Marie Kukuczka

Die Erstausstrahlung der Reportage „Hasenzählung“ war am 5. März um 19 Uhr im Ländermagazin Sachsen-Anhalt im MDR zu sehen.

Dieser Text entstand im Rahmen des Seminars „Lokaler Medienjournalismus“ am Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden (WS 2008/09).

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