„Ossis seien anders“: Medienmarkt Ost in „Spiegel“ und „Süddeutsche“ (Update: 6.10.2008)

Gleich zwei Geschichten in überregionalen Medien widmen sich diese Tage dem Phänomen, dass der Medienmarkt im Osten offenbar losgelöst vom sonstigen bundesweiten Mediengeschäft funktioniert. Der „Spiegel“ versucht unter dem Titel „Die Mauer in den Medien“ die Frage zu klären, warum westdeutsche Zeitungen und Zeitschriften sowie ARD und ZDF im Osten kaum Leser finden. Die „Süddeutsche Zeitung“ hat wenige Tage vorher ein Porträt der „SUPERillu“ veröffentlicht, Titel: „Die Psychotherapeuten der Ostdeutschen“.

Der „Spiegel“ stellt fest:

„Ob ‚Süddeutsche‘ oder ‚FAZ‘, ‚Stern‘, ‚SPIEGEL‘ oder ‚Focus‘, ARD oder ZDF – alle sind im Osten weit weniger erfolgreich als in den alten Bundesländern. Die westdeutschen Printtitel erzielen von Zittau bis Rostock fast durchweg geringere Reichweiten, die öffentlich-rechtlichen Westanstalten schwächere Quoten. Selbst ‚Bild‘ kommt im Osten schlechter an.“

Über die Gründe für das andere Medien-Konsumverhalten hat „Spiegel“-Autor Martin U. Müller mit Kommunikationswissenschaftlern gesprochen und kommt zu interessanten Ergebnissen, die nicht jedem in Ostdeutschland gefallen dürften:

„Ossis seien anders. Vielen fehle der Sinn für Gesellschaftsthemen, meinen Kommunikationswissenschaftler. 40 Jahre lang hätten sie sich vor allem im Privaten wohl gefühlt, in der Familie, in Hausgemeinschaften oder auf der Datsche. Und auch heute interessierten sie sich vor allem für ihr unmittelbares Umfeld und noch ein bisschen für Rot- und Blaulicht-Themen.“

Und weiter: „‚Ostdeutsche fühlen sich als Bürger zweiter Klasse und meinen deshalb, von den Medien an die Hand genommen werden zu müssen‘, sagt Michael Meyen, Kommunikationswissenschaftler an der Universität München.“

Ungewohnt positiv kommt der MDR in der Geschichte weg: „‚ARD und ZDF werden im Osten immer noch als Staatsfernsehen wahrgenommen‘, sagt Medienforscher Meyen. ‚Tagesschau‘, ‚Monitor‘ und ‚heute‘ haben entsprechend schlechte Quoten. Ausgerechnet der MDR konnte dieses Image abschütteln.“

Fazit der „Spiegel“-Geschichte mit dem Titel „Die Mauer in den Medien„: „Heute ist RTL fast gleich stark in Ost wie West – und damit ein wirklich gesamtdeutsches Medium.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ hat sich dagegen nur mit der Speerspitze des Ostdeutschen Medienmarktes beschäftigt, der „SUPERillu“. Zitat:

„Wenn Politiker wissen wollen, was der Osten denkt, dann laden sie sich bei Super Illu zur Redaktionskonferenz ein. An der Wand vorm Büro des Chefredakteurs Jochen Wolff hängt eine ganze Bildergalerie: Wolff mit Köhler, Wolff mit Schröder, Wolff mit Merkel und Platzeck, mit Gorbatschow.“

„SUPERillu“-Chefredakteur Jochen Wolff bringt seine Verwunderung über die Aufmerksamkeit für den Medienmarkt Ost auf den Punkt:

„‚Ich versteh‘ dit nicht‘, sagt Wolff in einer Mischung aus Berliner Slang und Bayerisch, ‚wenn Westdeutsche ihre Nierentischchen rausholen, dann ist dit ganz normal. Wenn Ostdeutsche sich mit ihrer Vergangenheit beschäftigen, dann ist dit Ostalgie‘.“

Hier finden Sie die „Spiegel“-Geschichte mit dem Titel: „Die Mauer in den Medien„.

Hier finden Sie den Text aus der „Süddeutschen Zeitung“ mit dem Titel: „Die Psychotherapeuten der Ostdeutschen„.

Informationen über die Reichweiten der Tageszeitungen im Osten finden Sie in unserer Geschichte „Zeitungsmarkt Ost: ‚Sächsische Zeitung‘ zweitstärkste regionale Abo-Zeitung„.

Nachtrag: Hanno Harnisch, Ressortleiter Feuilleton des „Neuen Deutschland“, vertritt die Meinung, dass die mangelnde Aufmerksamkeit der Ostdeutschen für „Westmedien“ mit den Eigentumsverhältnissen zu tun hat.

Zitat: „Aber vielleicht liegt es auch bloß an der Eigentumsfrage. Die zu stellen ist ja noch nicht grundgesetzwidrig. Alle (!) ostdeutschen Regionalzeitungen gehören westdeutschen Großverlagen, eine, die ‚Berliner Zeitung‘ gar einer internationalen Heuschrecke. Kein einziger Fernsehsender Ost hat einen Intendanten aus dem Osten. Und selbst die ‚Super Illu‘ gehört Burda und wird von einem Bayern geleitet.“

Überschrift der ND-Geschichte: „Der Osizoo ist volljährig„.

2 Gedanken zu „„Ossis seien anders“: Medienmarkt Ost in „Spiegel“ und „Süddeutsche“ (Update: 6.10.2008)

  1. Interessante Sache. Ich kann das teilweise aus meinem Umfeld bestätigen (Dresden/Leipzig). Allerdings habe ich den Eindruck das es stark vom Alter abhängt. Bei Älteren (so ab 45…50) scheint dies so wie beschrieben zu sein.
    Bei Jüngeren (so bis 40) kann ich das so nicht bestätigen. Wenn bei dieser Gruppe (zu der Ich gehöre) Zeitung gelesen wird dann eher Spiegel, Stern, Die Zeit, etc. aber merkwürdigerweise keine regionalen Zeitungen.

    Ich selbst habe lange Zeit den Spiegel gelesen bin nun aber endgültig ins Internet abgewandert.

    Es wäre interessant wenn man den Medienmarkt nach Altersgruppen und Ost/West untersuchen würde. Gibt es solche Zahlen frei verfügbar?

    thogo

  2. Wie mich das aufregt: „Vielen fehle der Sinn für Gesellschaftsthemen“ behaupten da Kommunikationswissenschaftler – einen Beleg für diese These bleibt der Artikel im Spiegel allerdings schuldig. Typisch. Ich möchte mal wissen, woher die diese Erkenntnisse nehmen! Sind denn die Wahlbeteiligungen so viel niedriger im Osten als im Westen?

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