Ist es fehlende Branchenkenntnis? Oder Hysterie? Die Kollegen der „Financial Times Deutschland“ schreiben heute aufgeregt von einem „Tabubruch“, den der Axel-Springer-Verlag begehe. Denn „ab dem 20. September werde in Berlin jeweils samstags das ‚Berliner Morgenpost Wochenend-Extra'“ gratis per Post verteilt. Überschrift: „Exklusiv: Springer wagt Tabubruch„.
Das Geschäftsmodell könnte Dresdnern und Branchenkennern bekannt vorkommen: Denn bereits seit Oktober 2005 verteilt die „Sächsische Zeitung“ die kostenlose „freitagSZ“, die durchaus Vorbild für das neue Springer-Produkt gewesen sein dürfte.
Die „freitagSZ“ erscheint immer freitags (hah!) mit einer Auflage von 160.000 Exemplaren und wird an alle Haushalte in Dresden verteilt, die kein Abonnement der „Sächsischen Zeitung“ haben. Springer verteilt künftig eine kostenlose, 16seitige Zeitung, die „eine Auswahl an Artikeln (enthält), die in der Woche zuvor in der ‚Berliner Morgenpost‘ erschienen sind“.
Wer sich etwas mit dem Produkt beschäftigt, weiß, dass die „freitagSZ“ im Grunde genau wie das „Wochenend-Extra“ der „Berliner Morgenpost“ nur ganz wenig mit einer Gratis-Zeitung zu tun hat – es ist vielmehr die geschickte Weiterentwicklung des Geschäftsmodells „wöchentliches Anzeigenblatt“ (von denen es bereits Millionen in Deutschland gibt), in dem allerdings Inhalte aus der Vorwoche der Lokalzeitung abgefeiert werden. Um aber wirklich als Gratiszeitung zu funktionieren, müsste so ein Blatt mit aktuellen Geschichten arbeiten.
„Resthauhaltsabedeckung“ und vielleicht „Abonnentengewinnung“ sind die zwei Ziele, die die „Sächsische Zeitung“ mit dem Sonderprodukt seit fast drei Jahren erfolgreich verfolgt – das nach Informationen aus dem Verlag gerade bei Anzeigen- und Beilegerkunden sehr gut ankommt. Nichts anderes wird man auch bei Springer erreichen wollen: „Vielmehr solle das ‚Berliner Morgenpost Wochenend-Extra‘ eine Art kostenloser Leseprobe‘ sein“, zitiert die FTD einen Springer-Sprecher. Aha.
Bislang dürfte die „Sächsische Zeitung“ im Regionalzeitungsmarkt alleine mit diesem Modell gewesen sein. Das jetzt aber manche Branchen-Dienste wie kress.de oder turi2.de von einem „Vorstoß in den Gratis-Markt“ oder einem „völlig neuen journalistischen Produkt“ (wuv.de) schreiben, nur weil Springer das Modell des kostenlosen Anzeigen-Wochenblattes leicht abwandelt – das ist schlicht eine Fehleinschätzung.
Nachtrag 20.13 Uhr: Und was macht der pfiffige Medienjournalist, wenn er seinen Fehler nicht eingestehen will? Er bezeichnet die Korrektur der fehlerhaften Branchenberichte durch den Verlag als „Dementi“ (turi2.de, dwdl.de), statt sich zu entschuldigen. Das trägt aber nicht gerade zur Glaubwürdigkeit des Journalismus bei, die Herren Kollegen!
Auch in Mannheim und Karlsruhe gibt es kostenlose Wochen-Ausgaben der örtlichen Tageszeitungen „Mannheimer Morgen“ und „Badisches Tagblatt“. Ich kann da auch keine größeren Unterschiede in dem Springer-Konzept erkennen.
Insofern ist das sicher nicht revolutionär, höchstens durch die Auflage bemerkenswert, was Springer da tut. Und man sieht an der Berichterstattung gut, wie unreflektiert manche Journalisten mutmaßliche Erkenntnisse aus Pressemitteilungen abschreiben/übernehmen…
Wurde die freitagSZ nicht zwischendurch mal kurzzeitig eingestellt. Ich hab damals beim dd-v mitbekommen, wie das Projekt gestartet wurde. Oder verwechsel ich das gerade mit der SonntagsSZ? Und die freitagSZ ist nur nicht in meinem Blickfeld gewesen…
Zur Thematik sehe ich das genauso, wie owy es oben beschreibt. Ich werd mal schauen, was sich demnächst bei mir im Briefkasten tummelt. Es haben sich ja auch schon einige „mehr-als-16Seiten-umfassende“ kostenlose Tagesspiegelausgaben an verschiedenen Samstagen bei mir (unaufgefordert) eingefunden…
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