Thema Internetsperren: Offener Brief an die Dresdner Bundestagsabgeordneten

Presseclub Dresden-Mitglied Hans-Holger Malcomeß hat sich mit einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten aus Dresden gewandt. Thema ist die Bundestags-Petition „Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten vom 22.04.2009„. Die richtet sich gegen das Vorhaben von Familienministerin von der Leyen, sogenannte beim BKA Sperrlisten für Internetseiten mit kinderpornografischem Inhalt anzulegen.

Die Kritiker des Gesetzesvorhabens halten das Vorhaben für ein wirkungsloses Wahlkampfmanöver der Familienministerin – und fürchten vielmehr unkontrollierte Eingriffe ins Internet durch das BKA. Für den weiteren Hintergrund sei wärmstens der „Spiegel-Online“-Artikel „Die Generation C64 schlägt zurück“ empfohlen.

Im folgenden Dokumentieren wir hier den offenen Brief von Hans-Holger Malcomeß – vorsorglich und um Missverständnisse zu vermeiden sei darauf hingewiesen, dass dies nicht automatisch bedeutet, dass es sich um die offizielle Meinung des Presseclubs handelt – wenn auch der Autor dieser Zeilen ebenfalls zu den Unterzeichnern der Petition gehört. (owy)

Hans-Holger Malcomeß:

Offener Brief an die Dresdner Bundestagsabgeordneten: Bitte unterstützen Sie die Petition „Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“

Sehr geehrter Arnold Vaatz MdB, sehr geehrter Andreas Lämmel MdB, sehr geehrte Marlies Volkmer MdB, sehr geehrter Jan Mücke MdB, sehr geehrte Katja Kipping MdB,

mit diesem offenen Brief – den ich als täglich intensiv das Internet nutzender parteiloser Dresdner schreibe – bitte ich Sie, die Bundestags-Petition „Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“ in Ihren jeweiligen Bundestags-Fraktionen aktiv zu unterstützen.

Hintergrund: Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Kinderpornographie versucht die Bundesregierung auf Initiative von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) derzeit, die freie Nutzung des Internets massiv einzuschränken. Dagegen protestieren mittlerweile mehr als 114.000 Menschen in ganz Deutschland (Stand: 9. Juni), welche die noch bis zum 16. Juni 2009 laufende Bundestags-Petition “Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten vom 22.04.2009“ namentlich unterzeichnet haben. Allein mehr als 60.000 von ihnen unterschrieben schon in der ersten Woche zwischen dem 4. und dem 11. Mai (darunter auch ich). Es ist mittlerweile die mit Abstand erfolgreichste Petition in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der Petitionsausschuss des Bundestages muss sie jetzt auf seine Tagesordnung setzen. Den Wortlaut finden Sie unter folgendem Link:

https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=3860

Bitte unterstützen auch Sie als Abgeordnete – deren Aufgabe die Kontrolle der Regierung ist – den Bürgerprotest gegen zunehmende staatliche Internetzensur in Deutschland!

Begründung: Wie sehr ein Widerstand gegen die Einführung geheimer Internet-Sperrlisten Not tut, welche zukünftig allein durch eine Polizeibehörde (Bundeskriminalamt) erstellt werden sollen, zeigen Überlegungen des SPD-Innenpolitikers im Bundestag Dieter Wiefelspütz. „Er könne sich vorstellen“, so Wiefelspütz angeblich gegenüber der Berliner Zeitung, „auch Seiten mit verfassungsfeindlichen oder islamistischen Inhalten zu blocken.“ Sein Kollege von der CDU, Wolfgang Bosbach, will sich dagegen „erst einmal“(!) nur mit Kinderpornographie befassen – Zitat: „Ich halte es für richtig, sich erstmal nur mit dem Thema Kinderpornografie zu befassen, damit die öffentliche Debatte nicht in eine Schieflage gerät.“ Mittlerweile hat Herr Wiefelspütz allerdings Teile seiner Aussage als von der Berliner Zeitung nicht korrekt wiedergegeben bezeichnet – die Debatte vergleiche unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/Internet-Sperren-Kinderpornografie-SPD;art122,2816422.

Doch wer entscheidet, was als „verfassungsfeindlich“ bzw. „islamistisch“ eingestuft wird? Letztlich das BKA ohne jede Kontrolle durch demokratisch gewählte Abgeordnete oder richterliche Prüfung, denn das Bundeskriminalamt ist nach derzeitiger Planung niemandem Rechenschaft pflichtig. Das bedeutet auch, dass betroffene Seitenbetreiber keine Chance auf Rechtfertigung oder Widerspruch erhalten, da sie weder erfahren, ob sie auf der Liste stehen oder weshalb der Zugang zu ihren Domains blockiert worden ist. Selbst BKA-Mitarbeiter zeigen Skepsis. Jürgen Maurer, Direktor beim Bundeskriminalamt, in der Anhörung vor dem Bundestag: „Besonders kritisch erschien ihm zugleich, dass die Polizei über die Aufnahme von Seiten auf die zudem geheim gehaltene Sperrliste entscheiden solle, und nicht etwa ein Richter.“ http://www.heise.de/newsticker/Anhoerung-zu-Kinderporno-Sperren-ein-Strauss-verfassungsrechtlicher-Probleme–/meldung/139475

Damit ist eine Entwicklung in Gang gesetzt, die sich schon bald nicht mehr kontrollieren lässt. Mittlerweile hat auch das Interpol-Generalsekretariat in Lyon auf Vorschlag des deutschen BKA-Präsidenten Jörg Ziercke beschlossen, eine weltweite Sperrliste für das gesamte Internet einzuführen – vergleiche die BKA-Pressemitteilung unter: http://www.bka.de/pressemitteilungen/2009/pm090608.html

Falls es der Bundesregierung tatsächlich allein um Kinderpornographie gehen sollte, bieten die gesetzlichen Regelungen in Deutschland schon jetzt ausreichend Möglichkeit, kriminelle Pädophilie konsequent in allen(!) Bereichen zu bekämpfen – einschließlich der Drahtzieher im Hintergrund. Allerdings ist der Vorstoß der geheimen Internet-Sperrlisten des BKA dafür gänzlich ungeeignet, da nach übereinstimmender Einschätzung zahlreicher Experten die entsprechenden Angebote meist erst gar nicht im offen zugänglichen Teil des World Wide Web verbreitet werden – siehe dazu unter anderem den umfangreichen Artikel „Verschleierungstaktik. Die Argumente für Kinderporno-Sperren laufen ins Leere“ im Fachmagazin „c’t“: http://www.heise.de/ct/Die-Argumente-fuer-Kinderporno-Sperren-laufen-ins-Leere–/artikel/135867

Ich weiß nicht, auf welchen Internetseiten unsere Bundesminister bzw. ihre Mitarbeiter surfen, aber ich selbst bin trotz langjähriger intensiver Internetnutzung noch kein einziges Mal über eine kinderpornographische Seite „gestolpert“…

Ich erlaube mir, diesen offenen Brief in Kopie an weitere Dresdner Bürger sowie an Pressevertreter zu senden. Diese werde ich ebenfalls bitten, die Petition „Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“ bis zum 16. Juni 2009 zu unterzeichnen. Weitere ausgewählte Presseartikel zur Petition finden Sie unter http://www.malcomess.de/typo3/index.php?id=118

PS.: Wohin der Weg einer zunehmenden Überwachung im Internet und anderswo führen kann, zeigt beispielhaft das kurze Satire-Video „Du bist Terrorist“ – zu finden unter http://www.dubistterrorist.de

Mit freundlichen Grüßen
Hans-Holger Malcomeß

Inhaber MalcoMedia
Public Relations • Personal Coaching • Political Consulting

Ein Gedanke zu „Thema Internetsperren: Offener Brief an die Dresdner Bundestagsabgeordneten

  1. Danke! Ich hoffe, irgendeiner da oben wacht auf, bevor es zu spät ist. Es wäre schade um das kurze Intermezzo „Demokratie und Meinungsfreiheit“, was wir hier gehabt haben.

    Falls nicht, wäre es nur noch zu wünschen, dass die Stammwähler der Blockparteien aufwachen, die das gerade angezettelt haben – aber daran glaube ich eigentlich nicht mehr.

    PS: ich darf doch den Brief auf meiner Webseite abdrucken?

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