Schnäppchen im WSV statt gut durchdachter Relaunch-Aktion, ist das Urteil des Online-Marketing-Spezialisten Alexander Hesse über den neuen Internetauftritt der „Sächsischen Zeitung“. Ein Gast-Beitrag
Der neue Internetauftritt der „Sächsischen Zeitung“ gleicht einem verfallenen Restaurant: Auf Gäste wirkt dieser Laden wenig einladend. Eher von gestern. Das spiegelt sich besonders in den angebotenen Speisen (Präsentation der redaktionelle Inhalte), der Menükarte (Nutzerfreundlichkeit) und dem Service (Interaktivität) wider.
Zunächst erstmal kommt der Auftritt optisch frisch und modern daher. Eine klare Strukturierung der Navigation und die Reduzierung der Buttons unterstützen diesen Eindruck – besonders im Vergleich zu früher. Doch hinter der frisch gestrichenen Fassade steckt leider das alte, verfallene Gerüst.
Viele Printmedien versuchen über das Internet den Kunden und Interessenten näher zu kommen. Im Zuge der Renovierung hätte man „SZ-Online“ zu einem gemütlichen Ort der Kommunikation werden lassen können. Den Leser und die Kunden einbinden, mit ihnen in Kontakt treten und sie von den Vorzügen und Vorteilen des Produkts überzeugen. Das wäre der richtige Weg gewesen.
Interaktivität unerwünscht?
Der Menüpunkt „Interaktiv“ ist sowohl bildlich als auch inhaltlich an letzter Stelle im Menü abgelegt. Er ist sozusagen im Hinterhof wiederzufinden, statt dort präsent zu sein, wo Interaktionen wirklich stattfinden könnten. Vom Trendbegriff „Interaktiv“ hätte man dabei besser die Finger gelassen. Das wird besonders deutlich, schaut man sich die Unterpunkte „Foren“ und „Newsletter“ genauer an.
Was da geboten wird, als Forum zu bezeichnen, ist fast schon unverschämt – da kann ich auch mein Auto mit Zetteln bekleben und sagen, das sei eine Zeitung. Hier werden alle Regeln des Aufbaus eines Internet-Forums missachtet. Kein Zusammenhang der Themen und Beiträge, keine zeitliche Abfolge und schon gar keine Übersichtlichkeit. Von gängigen und vielfrequentierten Internet-Foren ist diese Kommunikation sehr weit entfernt.
Hausanschrift für Newsletter-Abo?
Beim Blick auf den Newsletterbereich stellt sich dem Betrachter eine brennende Frage: Wozu muss (!) ich bei der Anmeldung für einen E-Mailnewsletter meine Hausanschrift angeben? Da sollten sich sowohl die Marketingexperten als auch die Online-Redaktion einmal Gedanken darüber machen, wie man aktuelle Entwicklungen in Sachen Web 2.0 und Online-Kommunikation einbinden könnte.
Ein Auffrischen der Menükarte könnten gerade die Ansätze „Video“ (Startseite, rechte Spalte) und „Online Exklusiv“ bringen. Ein klassisches Printmedium im Internet innovativ umzusetzen, bedarf manchmal auch den Mut, neue Wege einzuschlagen. Vielleicht wollen die Köche und der Restaurantbetreiber hier aber auch gar keine Speisekarte mit „mehr“ Auswahl? Dann doch lieber Twittern zum Nachtisch!?
Artikel immer wieder doppelt
Bei den Funktionen auf der neuen Website sieht man kaum Veränderungen und Innovationen, gleiches gilt auch für die redaktionellen Inhalte.
Schon auf der Startseite offenbaren sich markante Schwächen. Die Anordnung der Artikel lässt keine Ordnung erkennen – selbst, wenn es eine geben mag. Als Leser springt man von regionalen Themen zum „Panorama“, dann weiter zur „Politik“ und wieder zurück in das Geschehen aus der „Region“. Da helfen einem die gut gemeinten Reiter im Hauptartikelfenster und im rechten Bereich auch nicht mehr weiter.
Strukturell zieht sich dieses Problem dann auch in die einzelnen Untermenüs: Wo findet man was? Warum öffnet sich eine Auswahl der Regionen, wenn ich „Überregionale Artikel“ lesen möchte? Warum finden sich Artikel immer wieder doppelt in den verschiedensten Kategorien mit teilweise unterschiedlichen Inhalten wieder?
Neuer Trainer für Dynamo?
So fragte ich mich die Tage, ob Felipe Scolari etwa schon als Trainer bei Dynamo Dresden im Gespräch sei. Anders war die Dopplung des Artikels „Entlassung von Felipe Scolari als Trainer bei Chelsea London“ sowohl unter „Sport“ als auch unter „Regional/Sport“ nicht zu erklären. In diesem Zusammenhang muss sich „SZ-online“ dann auch den Vorwurf gefallen lassen, dass die tägliche Printausgabe lediglich 1:1 ins Internet kopiert wird, ohne einen zusätzlichen Mehrwert für Leser und Online-Besucher (so wie ich einer bin, der die Seite nutzt, um sich von außerhalb über die Themen in Dresden und Umgebung auf dem Laufenden zu halten).
Warum dem Leser nicht einfach mal das Werkzeug zum Meinungsaustausch mit anderen Lesern in die Hand geben? Eine Kommentarfunktion zu den Artikeln zum Beispiel. Eine übersichtlichere Gestaltung der Beiträge und der Menüpunkte könnte auch zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den redaktionellen Inhalten verleiten.
Unverschämter Kellner
Bleiben wir beim Restaurant-Bild: Die Nutzerfreundlichkeit auf „SZ-Online“ kommt einem verbrannten Steak gleich, dass einem mit breitem Lächeln serviert wird.
Noch ein Beispiel gefällig? Aus fachlicher Sicht nicht vertretbar ist das „persönliche Menü“. Man zahlt für das Lesen der regionalen Artikel und wird in diesem „exklusiven“ Bereich durch das „persönliche Menü“ mehr oder weniger geleitet. Über verschiedene Unterpunkte gibt es Zugriff auf persönliche Daten und Informationen zum Abo.
Die unübersichtliche Aufteilung dieser Unterpunkte ist genauso wenig ansprechend wie die Möglichkeiten, die sie einem bieten. Wenn man diese Unterpunkte denn überhaupt wiederfindet. Nach ein, zwei weiteren Klicks sind sie gern auch einfach mal ganz verschwunden. Stellen Sie sich einfach vor, Sie wollen beim Kellner bestellen und dieser kann Ihnen nichts empfehlen, geschweige denn, Sie beraten. Und manchmal kommt er dann auch einfach gar nicht wieder.
Suche als Glücksspiel
Die Suchfunktion macht es dem Nutzer auch nicht einfacher. Die Auswahlmöglichkeiten in der Eingabe sind auf Jahr und Stichworte beschränkt, was einem schnell hunderte von unrelevanten Ergebnissen aufzeigt. Den gesuchten Artikel darunter zu finden, ist dann eher ein Glücksspiel als eine gezielte Suche.
Tageszeitungen und Magazine nutzen den Online-Kanal sehr gern als vertriebliche Unterstützung für Ihre Offline-Produkte. Die attraktive Integration von Printangeboten in den Online-Auftritt ist dabei Pflicht. Leider ist der Bereich „Aboservice“ beim Relaunch von „SZ-Online“ scheinbar unter den Tisch gefallen. Eine attraktive Gestaltung von Abo-Angeboten stelle ich mir jedenfalls anders vor.
Nutzerfreundlichkeit bringt Sterne!
Schaut man sich das Treiben hinter der renovierten Fassade genauer an, wird schnell klar, dass hier eine Chance vertan wurde. Eigentlich sollte gerade ein so großes Haus wie die „Sächsische Zeitung“ mit seinen redaktionellen und online-technischen Möglichkeiten ein besseres Erlebnis abliefern können.
Mein Fazit: Es ist dem seit nun mehr 12 Jahre bestehenden Restaurant „SZ-Online“ also mehr als zu wünschen, dass es in naher Zukunft die Speisekarte erweitert, den Service verbessert und den Gästen ein einladendes Flair anbietet. Dann klappt es vielleicht bald auch mit dem ersten Michelin Stern.
Hallo, Herr Kollege!
Bravo – genau das gleiche Empfinden hatte ich bei einem kürzlichen Besuch dieses „Etablissements“ auch.
Beste Grüße aus Weimar
Christian Meyer, Freier Journalist
Hi!
Lässt sich amüsant und unterhaltsam lesen, dein Vergleich.
Nachdem ich dann auch auf die Seite geschaut habe kommt es mir vor wie ein billiges Immitat von Spiegel oder Stern ;-)
Na gut – wir sehen uns ja bald.
Bis dahin wünsche ich noch weitere gute Kritiken! 5* von mir!!!
Beste Grüße aus Leipzig, Kai
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